Missale Coloniense. Köln(?), 1420.
Lateinische Handschrift auf Pergament. 319 Bll. Ursprüngliche schwarze (im Proprium de tempore) und rote Foliierung (Im Sanctorale). Lagen: 14 (4 nn. Bll.), 2-1112 (Fol. i-cxx), 1212-1 (1 Bl. entfernt, in Blattzählung übersprungen, cxxi-cxxxi), 13-1412 (cxxxii-clv), 1510 (clvi-clviii, 7 ungez. Bll.), 168-1 (letztes [leeres?] Bl. entfernt), 17-2412 (clix-ccii, [ab hier in Rot] i-lii), 256 (liii-lviii), [266 fehlt, lix-lxiv], 2712-2 ([fehlen lxv u. lxvi] lxvii-lxxv [lxxiii doppelt gez.]), 2812-1 ([fehlt lxxvi] lxxvii, 10 ungez. Bll.), 2912 (12 ungez. Bll.), 8 Bll. Lagenfragmente (die ersten 2 Bll. als Fortsetzung von Lage 29, 1 Bl. mit unvollständ. Messformular, 5 Bll. Nachträge von Hand des 18. Jhs.).
Blattgr. 345 x 250 mm. Schriftspiegel ca. 275 x 197 mm. 2 Spalten zu 30-32 Zeilen (Canon missae zu 23 Zeilen). Text in schwarzer und brauner Textura, rubriziert. Vier- und fünflinige Notensysteme mit Hufnagelnotation.
Rote und blaue Lombarden, einige mit rotem oder violettem Fleuronnée, Cadellen mit rotem Mittelstrich. 10 große vier- bis sechszeilige Initialen mit rot-blau gespaltenem Stamm, davon sechs mit pergamentausgesparten Blattrankenmotiven, von diesen zwei zusätzlich mit ausgesparten Drachen-Drolerien, jeweils gefüllt oder auf einem Grund mit einem Muster aus gebuchteten Vierblatt- oder Palmettenornamenten in roter und violetter Federzeichnung; drei dieser Initialen mit rot und blau segmentierter Randleiste mit Fleuronnée, eine mit Randleiste aus rotem Rankenwerk, vier mit Fleuronnée-Randleiste; auf der ersten der Zierseiten die große Initiale zusätzlich auf schmalem Goldgrund, der Stamm zusätzlich mit grünem Kolorit. Eine vierzeilige rot-blau gespaltene Initiale mit ausgespartem Rankenwerk und violettem Binnenornament auf grünem Grund.
Ganzseitiges Kanonbild in Deckfarben und Gold mit dreifiguriger Kreuzigung auf einer Rasenfläche vor rotem Quadratmustergrund, Maria mit verschränkten Armen in hellrotem Kleid mit blauem Mantel, Johannes in hellgrünem Mantel, darunter ein hellrotes Gewand, in der Linken das Buch, die Rechte zu Christus weisend; beide Figuren in das Gesicht des Gekreuzigten blickend. Das Bild mit rot konturiertem vergoldeten Rahmen. Das Kreuz unter dem Kanonbild zur unteren Hälfte beschnitten.
Wohl späterer Holzdeckelband auf vier Bünden mit fragmentarischem Lederbezug und 2 (st. 8) Buchschonerknöpfen sowie 2 Metall-Schließbeschlägen.
Inhalt: (Ohne Kalendarium.) 1r-4v Kyrie / Gloria. Am Schluss zwölfzeilige zeitgenöss. Dedikationsnotiz. 5r-137r Proprium de tempore (1. Sonntag im Advent bis Karsamstag). 138r-162r Fortsetzung (Ostersonntag bis Pfingstvigil). 163r-169r Praefationen. 169r-169v.(von Hand des 18. Jhs.) Missa de Sancto Sebastiano in tempore pestis. 170r+v Communicantes. 171r Gebete. 171v Kanonbild. 172r-176v Hochgebet (T)e igitur. Vor dem Credo Wiederholung der Dedikationsnotiz. 177r-220v Proprium de tempore Teil 2 (ab Pfingstsonntag). 221r-273v Proprium de sanctis [Lucia] (D)ilexisti iustitiam - St. Martin. 273v-275r Commune sanctorum. 275v-282v Alleluja-Verse. 282v 284v Episteln und Evangelien [darin Lücke von 8 Bll.]. 281r-289v Kirchweihe, Votivmessen und Orationen [Lücke vorletztes Bl.]. 290r-294r Totenmesse. 294v Sequenz Virgini Mariae laudes intonant, darunter (von Hand des 18. Jhs.) Suffragium de S. Sebastiano. 295r-313v Sequenzen (G)rates nunc omnes ... Ave praeclara maris stella. 314r+v Festum Lanceae et clavorum. 315r-319v (von Hand des 18. Jhs.) Sequenz De Coloniensibus patronis Gaude foelix Agrippina.
(Einband durch Wurmfraß stark beschädigt, am Hinterdeckel fehlt das äußere Drittel; Vorsatzblätter geknittert oder eingerissen. Buchblock in älterer Zeit beschnitten. Die Pergamentblätter zum Teil mit starken Gebrauchsspuren, meist angeschmutzt, einige Verwischungen und Bereibungen. Das Kanonbild stärker berieben. Einige Randeinrisse, einige teils alt ausgebesserte Fehlstellen im Außenrand. Ein Ausschnitt im unteren Blattrand. Zahlreiche spätere Textergänzungen von mehreren Händen, teils auch in grober Art mit Bleistift.)
Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Bd. 16/II (Kr. Neuwied), S. 136 u. 139 (Erpel). Das Missale befand sich offenbar bis 1940 in Erpel im Bestand der Pfarrkirche St. Severinus. Die Zugehörigkeit bestätigt die mit 1420 datierte Dedikationsnotiz, die sich gleichlautend an zwei Stellen in der Handschrift findet, und zwar am Anfang zum Ende des Gloria und vor dem Credo im Hochgebet. Als Stifter werden genannt Henricus Kremer clericus coniugatus und Teilmannus Werner scabini in Erpil und als Schreiber ein Chrispinianus, Rektor der Kapelle zu Bruchhausen: compaverunt et conscribi fecerunt per honestem dominum Chrispinianum rectorum capelle in Broichusen […] In laudem die omnipotentis, beate marie virginis et sactissimi Severini episcopi patroni ecclesie in Erpil ... Seit 1130 übte das Kölner Domkapitel die Herrschaft in Erpel aus. Die "Capelle" in Bruchhausen (die spätere Pfarrkirche St. Johannes Baptist) war damals eine Filialkirche von St. Severin in Erpel.
Ungeachtet der Angabe des Namens Chrispinianus im Dedikationsvermerk, welcher sonst nirgendwo nachzuweisen ist, lässt der Stil der Initialen und des Buchschmucks den Schluss zu, dass es sich beim Hersteller der Handschrift um eine sehr fähige Schreibwerkstatt eines Konventes handelt, der der Bewegung der Devotio moderna angehörte. Unser Kanonbild ist in die Lage eingebunden und damit gleichzeitig mit dem Text entstanden. Der Kuzifixtyp entspricht dem der Darstellungen in der Zeit um 1400 bis 1420, wie sie bei Johanna Gummlich in ihrer Arbeit über die Kölner Buchmalerei aufgeführt sind (Johanna C. Gummlich, Bildproduktion und Kontemplation. Ein Überblick über die Kölner Buchmalerei in der Gotik unter besonderer Berücksichtigung der Kreuzigungsdarstellungen, Weimar 2003, Abschnitt 3, S. 157 ff.). Naheliegend wäre zunächst als Schreibort Köln anzunehmen, wogegen allerdings die Maltechnik und überhaupt das Vorhandensein des gut gemalten Kanonbildes sprechen. Denkbar wären Schreiber aus anderen Konventen, etwa der Windesheimer Kongregation im mittel- und niederrheinischen Raum, die oft Einflüsse aus ihren weit vertreuten Mutterklöstern weiterpflegten.
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